Wie wird man eigentlich Trauerrednerin – Teil 2

hier geht es zum 1. Teil…

„Wo ist meine rechte Hand?“ So lautete die Zeitungsannonce, die mir eine Freundin aus der Stuttgarter Zeitung ausgeschnitten hat, weil sie wusste, dass ich mich für das Bestattungswesen interessiere. Und tatsächlich dachte ich: Bingo. Das ist es! Hier hat jemand auf mich gewartet. Ein kleines frauengeführtes Bestattungsinstitut.

Ich war mir absolut sicher, dass das meine Stelle ist. Später habe ich dann erfahren, dass ich nur die Nummer zwei auf der Liste war. Zuerst wurde eine ehemalige Vikarin eingeladen, aber dann kam deren Mann nicht damit zurecht, dass sie jetzt mit verstorbenen Menschen zu tun hat. Mein Glück!

Bestatterin werden – aller Anfang ist schwer

Als der lang ersehnte Anruf endlich kam, war ich vor Aufregung ganz aus dem Häuschen. Ich würde in einem Bestattungshaus mitarbeiten! Zunächst fiel es mir schwer, dafür so früh aufstehen zu müssen. Der Büroanfang war um 7:30 Uhr und ich musste vorher noch durch die halbe Stadt fahren. Ja, ich weiß, das ist Jammern auf hohem Niveau. In den ersten Tagen war ich wie erschlagen, aber dann wurde es immer besser. Der frühe Beginn war den Pfarrerinnen und Pfarrern geschuldet, die (zumindest damals noch) per Handy schlecht erreichbar waren. Wenn man einen Bestattungstermin ausmachen wollte, musste man sie unbedingt zu Hause erreichen.

Und dann geht es Schlag auf Schlag:

  • ich lerne, wie man ein Gespräch mit Angehörigen führt
  • welche Papiere fürs Friedhofsamt und Standesamt gebraucht werden
  • was alles an der Organisation einer Bestattung hängt
    (Termin / Pfarrer/RednerIn/ Anzeige / Blumen / Deko / Musik..)
  • was auf welchem Friedhof zu beachten ist, wer die wichtigen Ansprechpartner sind
  • Ich muss lernen, größere Autos zu fahren und die manchmal knappen Zufahrten bei den Krankenhäusern und Heimen bewältigen, ohne in den Leichenwagen Kratzer zu machen.
  • Ich bin bei Hausabholungen tagsüber und nachts dabei.

Die Lernkurve ist steil.

Als ich einigermaßen eingearbeitet bin, macht meine Chefin zum ersten Mal seit Jahren für ein paar Tage Urlaub und ich „Kücken“ leite das Bestattungsinstitut. Danach bin ich selbst sowas von urlaubsreif.

Auch mit dem Thema Bereitschaft komme ich nicht so gut klar – ständig denke ich, gleich klingelt das Telefon. Das setzt mich ziemlich unter Strom, ich kann nicht abschalten.

Kostbare Erfahrungen

Es gibt aber auch unglaublich berührende Momente. So habe ich beispielsweise einmal zusammen mit einer jungen Frau ihre Mama„gerichtet“, das heißt, wir haben sie gewaschen und schön gemacht, bevor sie in den Sarg gelegt wurde. Zu Beginn sagte die junge Frau zu mir, dass sie nur zuschauen wolle. Ich schlug ihr vor, dass sie das Gesicht waschen und die Haare kämmen solle, während ich den restlichen Körper waschen würde. Als sie dann angefangen hatte, machte sie einfach weiter – und ich zog mich langsam zurück und überließ ihr alles. Dabei hat sie weiter mit ihrer Mama geredet und zu ihr gesagt: „Schau mal, Mama, ich hätte nie gedacht, dass ich das kann.“

Das hat mir solche Herzensfreude gemacht – Trauernde „ermächtigen“, das ist so wichtig.


2001 – der Tod meiner Oma und meine eigene Trauer

Als meine Oma gestorben ist, konnte ich als Bestatterin alles selber für sie machen. Ich habe ihren Sarg ausgeschlagen und mich sogar mal reingelegt, um zu sehen, ob sie es so bequem hat.

Nachdem sie im Sarg lag, habe ich im Bestattungshaus Kerzen angezündet und Musik angemacht. Ich habe sie gewaschen, mit Rosenöl eingeölt und sie angezogen. Auf einmal sah sie nicht mehr schutzbedürftig und klein aus, so wie ich sie aus der Kühlkammer des Krankenhauses abgeholt hatte, sondern so, wie ich alle Toten empfinde: als jenseits meines Mitleids, fremd, eine Hülle, die noch vom Leben erzählt, aber doch nur noch Hülle ist. Der Schmetterling ist ausgeflogen.

Auf einmal hat der Tod ein Gesicht, das ich kenne und liebe. Es ist Zeit für sie, sich auszuruhen.

Im Gespräch mit dem Trauerredner das Gefühl von Überforderung: erzähle ich die richtigen Dinge? Vergesse ich auch nichts Wichtiges? Wie kann ich ihrem Leben und auch den anderen Familienmitgliedern gerecht werden? Bin ich zu nah dran, um überhaupt etwas zu sagen? Schließlich bin ich bei ihr aufgewachsen, sie war eine Art Mama für mich.

Auf einem großen Sonnenblumenfeld pflücke ich 50 Sonnenblumen für die Trauerfeier.

Eine bekommt sie in die Hand. In den Deckel des Sarges klebe ich Fotos der Familie, damit wir immer bei ihr sind.

Ich sitze noch ein bisschen bei ihr, lese ihr aus einem ihrer Lieblingsbücher vor. Solange ich bei ihr bin, bin ich ganz ruhig.

Die Trauerfeier ist schön. Der Redner findet die richtigen Worte. Danke, lieber Hermann.

Am nächsten Tag fahre ich den Sarg zum Krematorium. Nach der Kremierung hole ich die Urne ab, sie darf noch ein paar Tage bei mir zuhause stehen, bis zur Urnenbeisetzung. Das geht, weil ich Bestatterin bin. Es fühlt sich alles unwirklich an.

Die Urnenbeisetzung findet im kleinsten Kreis statt. Die Worte des Pfarrers erreichen mich nicht. Und als der Friedhofsangestellte Kies auf die Urne schüttet statt Erde (angeblich nötig wegen der Stabilität der Gräber???), tut mir das körperlich weh.

Wie empfindlich wir Trauernden doch sind, nicht wahr? Wie ohne Schutzhaut fühlt man sich. Erschöpft an Körper und Seele.

Es war eine intensive Zeit. Und die Trauerzeit war relativ kurz. Vielleicht, weil es schon in den Jahren davor durch die Demenzerkrankung ein Abschied auf Raten war.

Warum Bestatterin dann doch nicht das Richtige für mich war

Mit der Zeit hatte ich mehr und mehr den Eindruck, dass es für mich doch nicht das Richtige ist, als Bestatterin weiterzuarbeiten. Zu schwer fiel mir der Zeitdruck, die Bereitschaftsdienste in dem kleinen Unternehmen – und auch mit meiner Chefin ging es nicht weiter. Nach fünf Jahren war es Zeit, einen anderen Weg einzuschlagen.

In einer Zeit des Umbruchs und der Neuorientierung kam die Anfrage für die erste Trauerrede. Davon erzähle ich im dritten und letzten Teil meines Rückblicks.


Wer schreibt hier?

Bettina Sorge, seit 2005 Trauerrednerin, vorher fünf Jahre als Bestatterin tätig

Einzugsgebiet: Erlangen, Fürth, Nürnberg, Mittelfranken

Engagiert bei der BATF e.V., Bundesarbeitsgemeinschaft Trauerfeier

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