Wie wird man eigentlich Trauerrednerin? Teil 3

In meinem letzten Blogartikel habe ich über meine Zeit als Bestatterin geschrieben – und warum das letztendlich doch nicht das Richtige für mich war.
Als ich als Bestatterin anfing, war ich mir unsicher, wie genau die Arbeitsteilung zwischen BestatterIn und TrauerrednerIn ist, und mit der Zeit habe ich gemerkt, dass ich mich doch eher für das Ritual der Trauerfeier interessiere, für das, was inhaltlich da passiert und weniger für das Organisatorische.

Interesse für Rituale

Schon vor langer Zeit habe ich begonnen, mich für Rituale zu interessieren. Vor allem für das, was „Übergangsrituale“ genannt wird – also die Feste des Lebens, mit der wir Menschen seit jeher die großen Lebenswenden begangen haben: Geburt, Erwachsenwerden, Hochzeit, Tod. Auch habe ich angefangen, mit anderen Frauen Jahreskreisfeste zu feiern. Ich dachte, es wäre schön, Menschen darin zu unterstützen, ihre je eigene Form der rituellen Feier zu finden. Deswegen habe ich meine Homepage damals ritual-beratung.de genannt. Dass das bedeuten würde, dass ich mich selbst so nach vorne ans Pult stellen würde, das hätte ich damals nicht glauben können.

Die erste Trauerfeier

2005 rief mich Petra Hugo an, Fachfrau für Bestattungs- und Trauerkultur, die meine Homepage im Netz gefunden hatte. Sie suchte nach jemanden, der eine Trauerfeier für ein Ehepaar gestalten würde, das beim Tsunami in Thailand ums Leben gekommen war. Die zwei Kinder wünschten sich eine Trauerfeier mit vielen Ritualen. Ich habe zugesagt in der Meinung, dass es sich um eine kleine Feier im engsten Kreis handeln würde und habe erst im Gespräch erfahren, dass wir in Stuttgarts größtem Friedhof eine Trauerfeier für viele Menschen konzipieren würden. Ja, und da hatte ich schon zugesagt und konnte nicht mehr zurück. In den nächsten Tagen war ich ziemlich im Ausnahmezustand. Zu was hatte ich da nur Ja gesagt? Ich, die nicht wirklich vor vielen Menschen sprechen wollte …

Auszug aus der Rede:

Sogyal Rinpoche, ein buddhistischer Lehrer, schreibt: „Wenn wir aber schließlich zur Gewissheit kommen, dass wir sterben müssen und alle anderen fühlenden Wesen ebenso, entsteht in uns ein glühendes, fast herzzerreißendes Gefühl für die Zerbrechlichkeit und Kostbarkeit jedes Augenblicks und jedes Lebewesens, und hieraus kann sich ein tiefes, klares, grenzenloses Mitgefühl für alle Lebewesen entwickeln.“

Wenn es überhaupt eine Antwort gibt auf die Frage nach dem Sinn des Ganzen, die wir uns immer stellen, wenn jemand stirbt, den wir lieben und umso mehr, wenn ein Mensch durch eine Katastrophe mitten aus dem Leben gerissen wird , wenn es also überhaupt eine Antwort geben kann auf die Frage nach dem Warum so liegt sie darin, in diesem herzerreißenden Gefühl für die Zerbrechlichkeit und Kostbarkeit des Lebens.

Und ich wünsche uns, wenn wir jetzt hinausgehen und die beiden begleiten zu ihrer letzten irdischen Ruhestätte, dem Grab, aus dem ein Lebensbaum wächst, dass wir dies in unseren Herzen bewahren können in der Erinnerung an Klaus und Claudia – das herzzerreißende Gefühl für die Vergänglichkeit und Ewigkeit des Lebens.

Nachdem es geschafft war, habe ich erstmal ein paar Tage Urlaub gebraucht, so erschöpft war ich. Aber Sie können sich vorstellen, dass ich diese Rede nie vergessen habe. Genauso wie die zweite für eine Frau, die an ALS erkrankt war. Sie hat ihr Leben mit einem begleiteten Suizid in der Schweiz beendet. Sie wurde nur 48 Jahre alt.

Auszug aus der Rede:

Sie hat nie gefragt, warum ich, hat ohne Selbstmitleid ihr Schicksal angenommen und getragen mit aller Kraft und allem Mut
woher sie diese Kraft genommen hat, bleibt ihr Geheimnis
sie hat von allen viel verlangt, aber noch mehr gegeben, hat übermäßig geliebt und auch gelitten, hat das letzte bißchen Leben herausgeliebt, herausgelacht, bis ihr klar war, dass es jetzt Zeit war zu gehen. Und auch ihren letzten Weg ist sie – wie immer in ihrem Leben- klar das Ziel vor Augen – zielstrebig und mutig gegangen.
Ihr Lachen, ihre Großzügigkeit, ihr unerschütterlicher Humor werden allen in Erinnerung bleiben, die sie geliebt und geschätzt haben.

Trauerritual - Steine, auf denen Abschiedsworte wie Danke, Adieu, die Liebe bleibt stehen

Der Alltag als Trauerrednerin

Wie es dann weiterging…

Im ersten Jahr habe ich zwei Trauerreden gehalten, im zweiten 16, im dritten 37. Inzwischen sind es ungefähr 180 pro Jahr. Und insgesamt nähere ich mich nach 20 Jahren den 3000 Reden.
Eigentlich kann ich das kaum glauben, wenn ich jetzt zurückdenke. 3000 Vorbereitungsgespräche mit Angehörigen, 3000 Trauerfeiern gestaltet, 3000 Lebensgeschichten gehört, durch mich durchfließen lassen und dann mit einer individuellen Rede geehrt.

Natürlich musste ich mich auch mit all dem beschäftigen, was es bedeutet, selbständig zu sein. Kalkulation, Buchhaltung und Steuer, Marketing, Fortbildungen, Altersvorsorge…

Es war nicht so einfach, Fuß zu fassen. Ich musste mich bei Bestattungsinstituten vorstellen, etwas, was mir in der Anfangszeit sehr schwer gefallen ist. Ich bin niemand, der sich aufdrängen möchte, sondern eher ein zurückhaltender Mensch. Zum Glück haben sich im Lauf der Jahre einige sehr schöne Verbindungen der Zusammenarbeit mit Bestattungsinstituten in der Metropolregion ergeben, für die ich sehr dankbar bin. Auch ein paar schöne Kontakte zu Kolleginnen und Kollegen, mit denen ich mich abstimme, wenn ich im Urlaub bin oder einmal wegen Krankheit ausfalle. Inzwischen ist es so, dass häufig Angehörige schon wissen, dass sie mich als Trauerrednerin möchten.

Was hat mich 20 Jahre bei dieser emotional herausfordernden Arbeit gehalten?

Der Beruf kostet viel Kraft, aber man bekommt auch soviel zurück. Es macht mich glücklich, dass ich Angehörigen durch diesen schweren Tag helfen kann. Dass es möglich ist, dass manchmal ein Lächeln durch die Trauergesellschaft geht, selbst bei ganz schweren Umständen. Es ist eine zutiefst sinnvolle Aufgabe. Routine gibt es dabei nicht, kein Tag ist gleich.

Kraft dafür gibt mir die Liebe meines Mannes, der mich immer unterstützt hat, und die Natur, das Wandern und die Berge.

Wie hat dieser Beruf meine Sicht auf Leben und Tod geprägt?

Ich bin sicherer geworden im Umgang mit den „letzten Dingen“, der Bestattungsvorsorge, dem, was beim Abschiednehmen zu tun ist, das habe ich gemerkt, als meine Schwiegermama und mein Papa gestorben sind. Und ich bin verletzlicher geworden, weil ich weiß, wie schnell ein Schicksalsschlag kommen kann. Dass das Leben uns nichts schuldet, sondern alles nur auf Zeit geliehen ist. Das macht es so kostbar und nicht selbstverständlich. Deswegen versuche ich, dankbar zu sein für jeden Tag. Nicht, dass das immer gelingen würde. Auch ich gehe manchmal in der Arbeit unter und habe dann das Gefühl, dass das Leben an mir vorbeirast. Aber ich bekomme mein „memento mori“ jeden Tag wieder neu ins Haus geliefert.


Wer schreibt hier?

Bettina Sorge, seit 2005 Trauerrednerin, vorher fünf Jahre als Bestatterin tätig

Einzugsgebiet: Erlangen, Fürth, Nürnberg, Mittelfranken

Engagiert bei der BATF e.V., Bundesarbeitsgemeinschaft Trauerfeier