Vor- und Nachteile anonymer Bestattungen

Oder: warum ich gegen anonyme Bestattungen bin!

Heute schreibe ich über ein Thema, das mir sehr am Herzen liegt.
– Weil ich so oft über Friedhöfe gehe und an den Rosen auf den Wiesen sehe, wie groß das Bedürfnis der trauernden Angehörigen ist, genau an der Stelle, an der ihr verstorbener Angehöriger liegt, eine Blume niederzulegen
– Weil mir Angehörige später erzählen, dass ihnen ein Ort zum Trauern fehlt
– Weil Angehörige auf vielen Friedhöfen bei der anonymen Beerdigung nicht dabei sein dürfen und ich das unwürdig finde
– weil es zu diesem Thema noch viel Unwissen und Missverständnisse gibt

Was versteht man unter einer anonymen Bestattung?

Eine anonyme Bestattung setzt in der Regel eine Feuerbestattung voraus. Anonyme Erdbestattungen bieten nur wenige Friedhöfe an, anonyme Urnenbestattungen gibt es aber auf allen größeren Friedhöfen.

Wie die anonyme Bestattung dann genau abläuft, ist in den Gemeinden unterschiedlich geregelt. Manchmal dürfen die Angehörigen dabei sein und wissen dann ungefähr, unter welchem Rasenstück ihr verstorbener Angehöriger begraben ist. Oft dürfen die Angehörigen aber auch nicht dabei sein und die Friedhofsmitarbeiter graben z.B. einmal im Monat ein größeres Feld aus, und dann werden viele Urnen gemeinsam bestattet. Hier weiß nur die Friedhofsverwaltung, wo sich welche Urne befindet. In manchen Bundesländern kann das auch eine Wiese sein, auf der die Asche verstreut wird, hier in Bayern, wo ich wohne, ist das nicht erlaubt.

Aber es ist grundsätzlich bei der anonymen Bestattung so, dass es keinen Hinweis, keinen Namen, keine Tafel mehr gibt, die auf das Grab dieser Menschen hinweist.

Daneben gibt es auf vielen Friedhöfen die Möglichkeit der teilanonymen / halbanonymen Bestattung. Dabei wird der Beisetzungsort kenntlich gemacht, die explizite Grabstelle aber nicht. Das kann zum Beispiel so gelöst sein, dass neben einer Wiese, auf der die Bestattungen stattfinden, ein Teich angelegt wird und die Angehörigen einen Stein mit dem Namen des Verstorbenen um diesen Teich herum platzieren können. Diese Möglichkeit gibt es zum Beispiel auf dem Fürther Friedhof und auf dem Zirndorfer Waldfriedhof.

Auch auf dem Fürther Urnenfeld wurden Möglichkeiten geschaffen, die Urnen bei einem Apfelbäumchen oder neben einem Hibiskus zu bestatten, die Namen der verstorbenen Menschen werden dann auf einer Stele in der Nähe untereinander geschrieben. So etwas bietet auch der Nürnberger Südfriedhof an. In einem früheren Blogartikel habe ich etwas zu dem Fürther Grabfeld geschrieben.


Der Wunsch eines Verstorbenen, anonym bestattet zu werden, bedeutet nicht automatisch – ohne Trauerfeier. Dies ist ein weit verbreitetes Missverständnis, das oft zu Fragen führt. Bei jeder Bestattungsform kann eine Trauerfeier stattfinden, mit dem Sarg vor der Einäscherung oder mit der Urne nach der Einäscherung. Die Urnenbeisetzung kann zu einem späteren Zeitpunkt ohne Trauergäste stattfinden. Es gibt auch Trauerfeiern, bei denen nur ein Bild des verstorbenen Menschen steht.


Beispiele der Umsetzung anonymer Bestattungen auf den Friedhöfen meiner Region

Erlangen:
Auf dem Erlanger Westfriedhof in Steudach befindet sich beim Betreten des Friedhofs auf der linken Seite eine große Wiese. Dort und auch auf dem Friedhof in Eltersdorf können anonyme Bestattungen vorgenommen werden. „Die anonyme Bestattung wird ausnahmslos ohne Anwesenheit von Angehörigen durchgeführt“. (Zitat aus der Friedhofssatzung Erlangen)

Fürth:
Auf dem Fürther Friedhof an der Erlanger Straße befindet sich das anonyme Grabfeld im hinteren Teil unter der Abteilung B11. Es ist nicht ausgeschildert, man kann die Stelle nur erfragen. Auch hier können Angehörige bei der Beisetzung nicht dabei sein.

Nürnberg:
In Nürnberg befindet sich unterhalb des Krematoriums eine große Halle, die sogenannte „Anonyme Sammelstelle“. Man muss sich das wie ein großes Lagerhaus mit hohen Regalen vorstellen. Oder wie eine Bibliothek, nur für Urnen und nicht für Bücher. Dort werden die Urnen nebeneinander für die vorgeschriebene Zeit von zehn Jahren aufbewahrt. Nur sehr wenige Menschen haben überhaupt Zutritt zu diesem Ort.
Nach Ablauf der zehn Jahre werden die Urnen auf dem sogenannten „Ewigkeitsfeld“ beigesetzt, dorthin kommen z.B. auch die Urnen aus den Urnenwänden nach Ablauf der Ruhefrist.

Da die Friedhöfe meine Arbeitsorte sind, bin ich fast täglich auf dem Friedhof. Und mir fallen sie immer wieder auf: die (eigentlich verbotenen) Blumen, Kerzen und anderes, mitten auf der Wiese, mit denen Menschen die Grabstätte ihrer Angehörigen dann doch zu markieren versuchen.

Vorteile einer anonymen Bestattung

Vorteil 1: die Angehörigen müssen keine Grabpflege übernehmen

Die Generation, die jetzt bestattet wird, hat oft viele Jahre die Gräber der Eltern / Schwiegereltern gepflegt. Das hieß: immer nach den Jahreszeiten bepflanzen, im Hochsommer oft täglich gießen, zu Allerheiligen oder Totensonntag die Gräber schön schmücken.

Das kostet Zeit und Geld. Und früher gab es natürlich auch einen gewissen sozialen Druck, vor allem auf dem Land, dass das Grab schön aussehen muss, sonst wurden die Angehörigen schief angeschaut. Das möchte man seinen Kindern ersparen. Hinzu kommt, dass diese Kinder oft gar nicht mehr vor Ort wohnen, sondern oft weit weg.

Vorteil 2: die anonyme Bestattung ist oft die billigste Bestattungsform, die von den Friedhofsverwaltungen angeboten wird, und die Menschen haben oft keinen Bezug zu den Gräbern (mehr). Außerdem fallen die Kosten für den Grabstein und die Grabpflege weg.

Eine Bestattung ist teuer, da kommen schnell einige tausend Euro zusammen. Wenn mir ein Grab nicht wichtig ist, warum soll ich dann so viel Geld dafür ausgeben? Vor allem, wenn Mama vielleicht immer gesagt hat – „macht Euch bloß keine Umstände wegen mir…“

Wer darauf angewiesen ist, die kostengünstige Bestattungsform zu wählen, sollte sich beim Friedhofsamt oder beim Bestatter gut informieren. Es ist nicht ehrenrührig, nach der günstigsten Möglichkeit zu fragen. Hinweis: Manche Gemeinden haben wegen der erhöhten Nachfrage nach anonymen Bestattungen die Gebühren entsprechend erhöht, so dass es evtl. sogar andere, günstigere Möglichkeiten auf dem Friedhof gibt.

Nachteile einer anonymen Bestattung

Nachteil 1: kein Ort für die Trauer. Der verstorbene Mensch ist einfach spurlos verschwunden (manchmal merkt man erst später, dass man so einen Ort gebraucht hätte)
Dazu eine kleine Geschichte, die mir von einer Freundin erzählt wurde: Meine Mutter wurde auf eigenen Wunsch hin anonym bestattet. Ich finde es ok, aber mein Vater hatte ein Problem damit. Er hat sich auf die Lauer gelegt, um rauszufinden, wo die Urne ist. Die ungefähre Position hat er markiert.

Nachteil 2: Der Ehepartner, der als zweites stirbt, kann nicht bei seiner Frau / seinem Mann bestattet werden, sondern bestenfalls „irgendwo in der Nähe“ oder – wenn viele Jahre dazwischen liegen – auf einem neuen Feld in einer anderen Ecke des Friedhofs.

Nachteil 3: Aus der Ahnenforschung wissen wir, wie wichtig Gräber und die Daten auf Grabsteinen sind. Heutzutage verschwinden viele Menschen, ohne Spuren zu hinterlassen. Mir erscheint das als Niedergang der Bestattungskultur. Heinrich Heine hat mal geschrieben: „Unter jedem Grabstein liegt eine Weltgeschichte.“ Welche Geschichte erzählen anonyme Grabfelder?

Es gibt keine Statistik darüber, wie hoch der Anteil der vollständig anonymen Beisetzungen in ganz Deutschland ist. Diese Zahl wird von keiner offiziellen Stelle erhoben. Die Zahlen schwanken von nur ein paar Prozent, vor allen in kleineren Gemeinden, bis zu angeblich 50 Prozent in manchen deutschen Großstädten. Der Anteil der anonymen Bestattungen ist im Osten höher als im Westen und im Norden höher als im Süden.

In ihrer radikalsten Form, der Ort- und Zeichenlosigkeit, entspricht sie (die anonyme Bestattung) einer absoluten Negation des Erinnerungs- und Trauerortes und verabschiedet sogleich traditionelle Trauerrituale, die vor allem von Zeichen und Symbolen geprägt waren. Sie ist im gleichen Maße als eine Absage an die gemeinschaftliche oder öffentliche Erinnerung und als Rückzug ins Private zu deuten.“ (Quelle: Masterarbeit: „Die Sepulkralkultur Deutschlands im Wandel“ von Filiz Gisa Çakır)


Sozialbestattungen – alles eine Frage des Geldes?

Wenn sich die Angehörigen die Bestattungskosten nicht leisen können, übernimmt das Sozialamt die Kosten. Vom Amt bestimmte Bestattungen finden so kostengünstig wie möglich statt, was ja auch sinnvoll ist, denn diese Bestattungen werden aus Steuergeldern bezahlt. So kostengünstig wie möglich heißt bei den meisten Städten und Gemeinden: Feuerbestattung und anonyme Beisetzung. Wenn man Glück hat, ist das wenigstens noch der Friedhof in der Heimatstadt. Wenn man Pech hat und die Sammel-Seebestattung ist günstiger, dann kann das auch für den erdgebundensten Franken heißen – ab in die Nordsee. So habe ich es vor kurzem erlebt bei einer Trauerfeier, die ich gestaltet habe.

Sicher hat niemand von uns Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern etwas dagegen, wenn unsere Ämter sparsam mit unseren Steuern umgehen. Nur: hier stellt sich eben schon die Frage, was ein Menschenleben und das Erinnern daran wert ist. Es bleibt ein unangenehmer Beigeschmack.

Es sollte das Recht eines jeden Menschen sein, wenigstens ein Zeichen der Erinnerung zu hinterlassen, das sagt: ich habe gelebt.


Was mache ich als Angehörige, wenn meine Eltern den Wunsch nach einer anonymen Beisetzung haben?

Gut ist ja schonmal, dass in der Familie überhaupt darüber gesprochen wird. Friedhöfe bieten Führungen an, Bestattungsunternehmen Vorsorgegespräche. Hier kann man sich gemeinsam über Bestattungsmöglichkeiten informieren, die Angehörigen und Zugehörigen (so werden im Fachjargon die Menschen genannt, die nicht zu den nächsten Angehörigen gehören, aber trotzdem eine wichtige Beziehung zu dem verstorbenen Menschen hatten, wie z.B. enge Freunde, langjährige Kollegen usw.) Raum für Trauer geben, aber trotzdem keine Grabpflege aufbürden.

Und wenn wir zu Lebzeiten nicht darüber gesprochen haben?

Natürlich sind die Wünsche der Verstorbenen wichtig und wir sollten sie nach Möglichkeit erfüllen. Aber Gräber sind auch für die Lebenden da. Und wenn es für Sie wichtig ist, einen Ort zu haben, an dem Sie trauern können, dann ist das auch für Ihren Verstorbenen in Ordnung, denn er oder sie hätte gewollt, dass es Ihnen gut geht. Es ist sehr wahrscheinlich, dass diese Entscheidung getroffen wurde, um es Ihnen so leicht wie möglich zu machen. Sie können also wirklich Ihren Gefühlen und Bedürfnissen folgen. Vielleicht ist eine halbanonyme Bestattung eine denkbare Alternative.

Dazu eine Geschichte eines Berliner Kollegen von mir:

Meine Eltern haben mal vor vielen Jahren zu meinen Geschwistern und mir gesagt: „Wenn wir mal sterben, dann könnt ihr uns anonym beerdigen und einen Redner brauchen wir auch nicht.“ Wir waren wie vor den Kopf gestoßen und die spontane Reaktion war: „Das könnt ihr gleich vergessen!“

Zum einen konnten wir uns nicht vorstellen, sie irgendwo zu verscharren und zum anderen war eine Trauerfeier ohne Rede unvorstellbar, schon aus dem Grund, weil mein Vater ja selber über viele Jahrzehnte einer der führenden Trauerredner in Berlin gewesen ist.

Das Motiv war klar, sie wollten uns nicht zur Last fallen, daher kein Grab zum Pflegen, mit dem Zwang zum Friedhofsbesuch dahinter, auferlegen. Und mein Vater hatte natürlich auch nichts gegen einen Redner generell, das wäre ja noch schöner gewesen. Er hat bloß immer nach dem Motto gearbeitet, sprich nie in der eigenen Familie oder im engsten Freundeskreis. Und daher wollte er auch nicht, dass einer seiner Freunde, ebenfalls sehr gute Redner, diese schwere Aufgabe hätte übernehmen müssen.

Am Ende haben wir einen überredet und mein Vater hat eine sensationelle Trauerfeier bekommen, hat ein schönes Grab auf dem Friedhof Wilmersdorf in Berlin, auf dem Friedhof, wo er selbst so oft gesprochen hat, sozusagen sein „Wohnzimmer“. Und meine Mutter weiß, wo sie später hinkommt und dass es für uns Kinder keine Belastung ist, dort gelegentlich vorbei zu kommen und mal ein paar Blümchen mitzubringen.

Liebe Städte, Gemeinden und Friedhofsverwaltungen: bietet doch bitte keine anonymen Beisetzungen mehr an!

Dem Bedürfnis nach Gräbern ohne Pflegeaufwand für die Angehörigen mit unterschiedlicher Kostengestaltung (von sehr hochwertig bis zu ganz einfach) kann doch auch auf andere Weise Rechnung getragen werden.

Kein Mensch sollte sang- und klanglos von dieser Welt verschwinden.
Trauer braucht einen Ort. Erinnerung braucht einen Ort.

Es sollte keine Frage des Geldes sein, ob von einem Menschen nicht einmal der Name bleibt.

Unsere Kultur und Gesellschaft wird auch daran gemessen, wie wir mit unseren Verstorbenen umgehen.


Wer schreibt hier?

Bettina Sorge, seit siebzehn Jahren Trauerrednerin, vorher fünf Jahre als Bestatterin tätig

Einzugsgebiet: Erlangen, Fürth, Nürnberg, Mittelfranken

Engagiert bei der BATF e.V., Bundesarbeitsgemeinschaft Trauerfeier

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