Viele denken, Trauer wäre das gleiche wie „traurig sein“. Aber das wäre in etwa so, wie wenn man sagt, Liebe wäre das gleiche wie „glücklich sein“.
Trauer ist viel mehr als „traurig sein“. Sie ist die Reaktion auf einen großen Verlust. Die Ursachen für diesen Verlust können vielfältig sein:
- Tod eines geliebten Menschen
- Tod eines Haustiers, das zur Familie gehört hat
- Verlust der Heimat, Flucht, Vertreibung, Exil
- Verlust des Arbeitsplatzes und der finanziellen und oft auch sinngebenden Basis der eigenen Existenz
- Eine schwere Erkrankung, zeitweiser oder andauernder Verlust der Schaffenskraft, Verlust eines Körperteils, Organs
- Ende einer Liebesbeziehung, Trennung, Scheidung
- Ende einer wichtigen Freundschaft
Trauer ist viele Gefühle, abwechselnd und oft auch gleichzeitig:
- Traurigkeit
- Zorn, Wut
- Angst
- Einsamkeit
- Hoffnungslosigkeit
- Verzweiflung, Fassungslosigkeit
- Einsamkeit
- Erschöpfung, tiefe Müdigkeit
- Schuldgefühle
- Liebe
- Freundschaft
- Dankbarkeit
- Einverstandensein
Trauer betrifft uns körperlich, seelisch und geistig, sozial und spirituell. Es kann sein, dass unser Herz rast oder stolpert, der Rücken und der Magen weh tun, es kann sein, dass wir morgens nicht aus dem Bett kommen und nachts keinen Schlaf finden, dass die Tränen ununterbrochen fließen oder gar nicht. Es kann sein, dass uns einfachste Dinge völlig erschöpfen und dass wir keinen klaren Gedanken fassen können. Jeder und jede trauert auf ganz eigene Weise. Manche müssen alles im Detail durchdenken, andere gehen ganz ins Fühlen, wieder andere müssen unbedingt etwas machen, um die innere Unruhe auszuhalten. Und manche können in Gedanken nicht an ihren Verlust rühren, sondern vermeiden alles, was sie daran erinnert, räumen die Bilder und die Gegenstände weg usw. Auch das mag in bestimmten Momenten seine Berechtigung haben und gibt vor allem dann, wenn etwas ganz Schlimmes passiert ist, die Möglichkeit zum Überleben. Oft trauern Frauen anders als Männer. Und Kinder trauern auf ihre ganz eigene Art.
Aus ihrem Umfeld erfahren trauernde Menschen oft Unverständnis. Möglicherweise ziehen sich Menschen zurück, weil sie nicht wissen, was sie sagen oder tun sollen. Oder sie versuchen mit Sprüchen zu trösten, die kein Trost sind. „Das wird schon wieder. Schau nach vorn.“ Das macht einsam. Oder auch wütend.
Dafür kommt oft von nicht erwarteter Seite Hilfe und Unterstützung. Menschen, die einfach da sind und ein Stück weit mittragen und -aushalten.
Trauer ist ein Weg, ein Prozess – und dieser Weg muss gegangen werden, der Prozess muss durchlaufen werden, er kann nicht abgekürzt oder weggemacht werden, nicht durch Verdrängen, Alkohol, Drogen, Tabletten u.a. Und es kann dauern, oft wesentlich länger, als das Umfeld es uns zugestehen möchte. Trauernde machen manchmal „verrückte“ Dinge, und das ist klar, weil ihre Welt „ver-rückt“ ist. Trauer ist keine Krankheit. Sie kann heilen. Wenn wir ihr Raum geben, Zeit, Ausdruck, Rituale, Worte…
Ein Wort zu „Trauerphasen“ und „Trauerarbeit“: ich mag beide Begriffe nicht. Aus der Sicht von trauernden Menschen finde ich beides nicht hilfreich. Natürlich ist Trauer schwere Arbeit für Körper und Seele, aber die Vorstellung, dass wir „Trauerarbeit leisten müssen“, die macht mich wütend. Trauernde müssen nicht noch mehr leisten. Es geht darum, jeden einzelnen Tag, einen Tag nach dem anderen zu schaffen. Das ist viel. Und wenn Trauernde dann auf ein liebevolles, verständnisvolles Umfeld vertrauen können, dann ist das sehr hilfreich – und ein neuer Weg wird sich auftun, im Lauf der Zeit.
Im Grunde haben wir Menschen die Fähigkeit in uns, auch mit schweren Schicksalsschlägen umgehen zu lernen. Das wird Resilienz genannt.
Im Unterschied zur Trauer, die uns wieder zum Leben zurückführt, gibt es in der Psychologie den Begriff der „anhaltenden Trauerstörung.“ Hier brauchen Menschen dringend professionelle Unterstützung. Das kann z.B. der Fall sein, wenn:
- ein Kind oder ein sehr junger Mensch stirbt
- ein naher Angehöriger sich das Leben nimmt oder ermordet wird
- innerhalb kurzer Zeit viele Verluste zu betrauern sind
- schwere Unfälle oder Naturkatastrophen Menschen treffen
Ich glaube, dass wir alle lernen müssen, nicht zurückzuschrecken vor dem Leid anderer, sondern es wagen, uns berühren zu lassen. Wir sind alle sterblich, wir sind alle verletzlich. Damit sind wir konfrontiert, wenn wir trauernden Menschen begegnen. Das auszuhalten, ohne es wegmachen zu müssen, mit verlegenen Sprüchen oder guten „Ratschlägen“, sondern einfach da zu sein, mit einer Umarmung, einem Händedruck oder einer Suppe, das sollte jeder und jede von uns können.
Trauer wird nicht überwunden, sondern wir verändern uns durch sie, wir integrieren und transformieren sie und gestalten unser Leben neu – in unserem Tempo. Wie das geht, weiß unsere Seele. Dabei helfen können uns Gespräche, Aktivitäten und Rituale, Trauergruppen.
Eines ist sicher – es wird nie mehr wie vorher sein, wenn wir den Weg der Trauer gegangen sind. Aber es kann wieder gut werden.
Falls Sie selbst im Moment von Trauer betroffen sind, wünsche ich Ihnen viel Kraft und liebe Menschen, die Sie unterstützen und für Sie da sind.